Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Horen 9/1795

 

IX. 

Von den nothwendigen Grenzen des Schönen besonders im Vortrag philosophischer Wahrheiten.

Der Misbrauch des Schönen und die Anmaßungen der Einbildungskraft, da, wo sie nur die ausübende Gewalt besitzt, auch die gesetzgebende an sich zu reissen, haben sowohl im Leben als in der Wissenschaft so vielen Schaden angerichtet, daß es von nicht geringer Wichtigkeit ist, die Grenzen genau zu bestimmen, die dem Gebrauch schöner Formen gesetzt sind. Diese Grenzen liegen schon in der Natur des Schönen, und wir dürfen uns bloß erinnern, wie der Geschmack seinen Einfluß äusert, um bestimmen zu können, wie weit er denselben erstrecken darf. 

Die Wirkungen des Geschmacks, überhaupt genommen, sind, die sinnlichen und geistigen Kräfte des Menschen in Harmonie zu bringen und in einem innigen Bündniß zu vereinigen. Wo also ein solches inniges Bündniß zwischen der Vernunft und den Sinnen zweckmäßig und rechtmäßig ist, da ist dem Geschmack ein Einfluß zu gestatten. Gibt es aber Fälle, wo wir, sey es nun, um einen Zweck zu erreichen, oder sey es, um einer Pflicht Genüge zu thun, von jedem sinnlichen Einfluß frey und als reine Vernunftwesen handeln müssen, wo also das Band zwischen dem Geist und der Materie augenblicklich aufgehoben werden muß, da hat der Geschmack seine Grenzen, die er nicht überschreiten darf, ohne entweder einen Zweck zu vereiteln, oder uns von unserer Pflicht zu entfernen. Dergleichen Fälle gibt es aber wirklich, und sie werden uns schon durch unsere Bestimmung vorgeschrieben. 

Unsere Bestimmung ist, uns Erkenntnisse zu erwerben und aus Erkenntnissen zu handeln. Zu beyden gehört eine Fertigkeit, von dem, was der Geist thut, die Sinne auszuschließen, weil bey allem Erkennen vom Empfinden und bey allem moralischen Wollen von der Begierde abstrahirt werden muß. 

Wenn wir erkennen, so verhalten wir uns thätig und unsere Aufmerksamkeit ist auf einen Gegenstand, auf ein Verhältniß zwischen Vorstellungen und Vorstellungen gerichtet. Wenn wir empfinden, so verhalten wir uns leidend und unsre Aufmerksamkeit (wenn man es anders so nennen kann, was ganz und gar keine Handlung des Geistes ist) ist bloß auf unsern Zustand gerichtet, insoferne derselbe durch einen empfangenen Eindruck verändert wird. Da wir nun das Schöne bloß empfinden und nicht erkennen, so merken wir dabey auf kein Verhältniß derselbe zu andern Objecten, so beziehen wir die Vorstellung desselben nicht auf andere Vorstellungen, sondern auf unser empfindendes Selbst. An dem schönen Gegenstand erfahren wir nichts, aber von demselben erfahren wir eine Veränderung unsers Zustands, davon die Empfindung der Ausdruck ist. Unser Wissen wird also durch Urtheile des Geschmacks nicht erweitert, und keine Erkenntniß, selbst nicht einmal von der Schönheit wird durch die Empfindung der Schönheit erworben. Wo also Erkenntniß der Zweck ist, da kann uns der Geschmack, wenigstens direkt und unmittelbar keine Dienste leisten; vielmehr wird die Erkenntniß gerade so lange ausgesetzt, als uns die Schönheit beschäftigt. 

Wozu dient denn aber nun, wird man einwenden, eine geschmackvolle Einkleidung der Begriffe, wenn der Zweck des Vortrags, der doch kein anderer seyn kann, als Erkenntniß hervorzubringen, vielmehr dadurch gehindert als befördert wird? 

Zur Überzeugung des Verstandes kann allerdings die Schönheit der Einkleidung eben so wenig beytragen als das geschmackvolle Arrangement einer Mahlzeit zur Sättigung der Gäste, oder die äussere Eleganz eines Menschen zu Beurtheilung seines innern Werths. Aber eben so, wie dort durch die schöne Anordnung der Tafel die Eßlust gereitzt und hier durch das Empfehlende im Äussern die Aufmerksamkeit auf den Menschen überhaupt geweckt und geschärft wird, so werden wir durch eine reitzende Darstellung der Wahrheit in eine günstige Stimmung gesetzt, ihr unsre Seele zu öfnen, und die Hindernisse in unserm Gemüth werden hinweggeräumt, die sich der schwierigen Verfolgung einer langen und strengen Gedankenkette sonst würden entgegengesetzt haben. Es ist niemals der Inhalt, der durch die Schönheit der Form gewinnt, und niemals der Verstand, dem der Geschmack beym Erkennen hilft. Der Inhalt muss sich dem Verstand unmittelbar durch sich selbst empfehlen, indem die schöne Form zu der Einbildungskraft spricht, und ihr mit einem Scheine von Freyheit schmeichelt.

Aber selbst diese unschuldige Nachgiebigkeit gegen die Sinne, die man sich bloß in der Form erlaubt, ohne dadurch etwas an dem Inhalt zu verändern, ist großen Einschränkungen unterworfen, und kann völlig zweckwidrig seyn, je nachdem die Art der Erkenntniß, und der Grad der Überzeugung ist, die man bey Mittheilung seiner Gedanken beabsichtigt. 

Es gibt eine wissenschaftliche Erkenntniß, welche auf deutlichen Begriffen und erkannten Principien ruht, und eine populäre Erkenntniß, welche bloß auf mehr oder weniger entwickelte Gefühle sich gründet. Was der letztern oft sehr beförderlich ist, kann der ersteren gerade zu widerstreiten.

Da, wo man eine strenge Überzeugung aus Principien zu bewirken sucht, da ist es nicht damit gethan, die Wahrheit bloß dem Inhalt nach vorzutragen, sondern auch die Probe der Wahrheit muss in der Form des Vortrags zugleich mit enthalten seyn. Dieß kann aber nichts anders heissen, als, nicht bloß der Inhalt, sondern auch die Darlegung desselben muß den Denkgesetzen gemäß seyn. Mit derselben strengen Nothwendigkeit, mit welcher sich die Begriffe im Verstand aneinander schliessen, müssen sie sich auch im Vortrag zusammenfügen, und die Stätigkeit in der Darstellung muß der Stätigkeit in der Idee entsprechen. Nun streitet aber jede Freyheit, die der Imagination bey Erkenntnissen eingeräumt wird, mit der strengen Nothwendigkeit, nach welcher der Verstand Urtheile mit Urtheilen und Schlüsse mit Schlüssen zusammenkettet. Die Einbildungskraft strebt, ihrer Natur gemäß, immer nach Anschauungen, d. h. nach ganzen und durchgängig bestimmten Vorstellungen, und ist ohne Unterlaß bemüht, das Allgemeine in einem einzelnen Fall darzustellen, es in Raum und Zeit zu begrenzen, den Begriff zum Individuum zu machen, dem Abstrakten einen Körper zu geben. Sie liebt ferner in ihren Zusammensetzungen Freyheit und erkennt dabey kein andres Gesetz als den Zufall der Raum- und der Zeitverknüpfung; denn diese ist der einzige Zusammenhang, der zwischen unsern Vorstellungen übrig bleibt, wenn wir alles, was Begriff ist, was sie innerlich verbindet, hinwegdenken. Gerade umgekehrt beschäftigt sich der Verstand nur mit Theilvorstellungen oder Begriffen, und sein Bestreben geht dahin, im lebendigen Ganzen einer Anschauung Merkmale zu unterscheiden. Weil er die Dinge nach ihren innern Verhältnissen verknüpft, die sich nur durch Absonderung entdecken lassen, so kann der Verstand nur in so fern, als er vorher trennte, d. h. nur durch Theilvorstellungen, verbinden. Der Verstand beobachtet in seinen Kombinationen strenge Nothwendigkeit und Gesetzmäßigkeit, und es ist bloß der stätige Zusammenhang der Begriffe, wodurch er befriedigt werden kann. Dieser Zusammenhang wird aber jedesmal gestört, so oft die Einbildungskraft ganze Vorstellungen (einzelne Fälle) in diese Kette von Abstraktionen einschaltet, und in die strenge Nothwendigkeit der Sachverknüpfung den Zufall der Zeitverknüpfung mischt. Es ist daher unumgänglich nöthig, daß da, wo es um strenge Consequenz im Denken zu thun ist, die Imagination ihren willkürlichen Charakter verläugne, und ihr Bestreben nach möglichster Sinnlichkeit in den Vorstellungen und möglichster Freyheit in Verknüpfung derselben dem Bedürfniß des Verstandes unterordnen und aufopfern lerne. Deswegen muß schon der Vortrag darnach eingerichtet seyn, durch Ausschließung alles Individuellen und Sinnlichen jenes Bestreben der Einbildungskraft niederzuschlagen, und sowohl durch Bestimmtheit im Ausdruck ihrem unruhigem Dichtungstrieb, als durch Gesetzmäßigkeit im Fortschritt ihrer Willkühr in Kombinationen Schranken zu setzen. Freylich wird sie sich nicht ohne Widerstand diesem Joch unterwerfen; aber man rechnet hier auch billig auf einige Selbstverläugnung, und auf einen ernstlichen Entschluß des Zuhörers oder Lesers, um der Sache willen, die Schwierigkeiten nicht zu achten, welche von der Form unzertrennlich sind. 

Wo sich aber ein solcher Entschluß nicht voraussetzen läßt, und wo man sich keine Hofnung machen kann, daß das Interesse an dem Inhalt stark genug sein werde, um zu dieser Anstrengung Muth zu machen, da wird man freylich auf Mittheilung einer wissenschaftlichen Erkenntniß Verzicht thun müssen, dafür aber in Ansehung des Vortrags, etwas mehr Freyheit gewinnen. Man verläßt in diesem Falle die Form der Wissenschaft, die zuviel Gewalt gegen die Einbildungskraft ausübt, und nur durch die Wichtigkeit des Zwecks kann annehmlich gemacht werden, und erwählt dafür die Form der Schönheit, die unabhängig von allem Inhalt sich schon durch sich selbst empfiehlt. Weil die Sache die Form nicht in Schutz nehmen will, so muß die Form die Sache vertreten.

Der populäre Unterricht verträgt sich mit dieser Freyheit. Da der Volksredner oder Volksschriftsteller (eine Benennung, unter der ich jeden befasse, der nicht ausschliessend an den Gelehrten sich wendet) zu keinem vorbereiteten Publikum spricht, und seine Leser nicht wie der andere auswählt, sondern sie nehmen muß, wie er sie findet, so kann er auch bloß die allgemeinen Bedingungen des Denkens, und bloß die allgemeinen Antriebe zur Aufmerksamkeit, aber noch keine besondere Denkfertigkeit, noch keine Bekanntschaft mit bestimmten Begriffen, noch kein Interesse an bestimmten Gegenständen bey denselben voraussetzen. Er kann es also nicht darauf ankommen lassen, ob die Einbildungskraft derer, die er unterrichten will, mit seinen Abstraktionen den gehörigen Sinn verknüpfen, und zu den allgemeinen Begriffen, auf die der wissenschaftliche Vortrag sich einschränkt, einen Inhalt darbieten werde. Um sicher zu gehen, gibt er daher lieber die Anschauungen und einzelnen Fälle gleich mit, auf welche sich jene Begriffe beziehen, und überläßt es dem Verstand seiner Leser, den Begriff aus dem Stegreif daraus zu bilden. Die Einbildungskraft wird also bey dem populären Vortrag schon weit mehr ins Spiel gemischt, aber doch immer nur reproduktif, (empfangene Vorstellungen erneuernd) nicht aber produktif (ihre selbstbildende Kraft beweisend). Jene einzelnen Fälle oder Anschauungen sind für den gegenwärtigen Zweck viel zu genau berechnet, und für den Gebrauch, der davon gemacht werden soll, viel zu bestimmt eingerichtet, als daß die Einbildungskraft es vergessen könnte, daß sie bloß im Dienst des Verstandes handelt. Der Vortrag hält sich zwar etwas näher an das Leben und an die Sinnenwelt, aber er verliert sich noch nicht in derselben. Die Darstellung ist also noch immer bloß didaktisch, denn, um schön zu seyn, fehlen ihr noch die zwey vornehmsten Eigenschaften, Sinnlichkeit im Ausdruck und Freyheit in der Bewegung. 

Frey wird die Darstellung, wenn der Verstand den Zusammenhang der Ideen zwar bestimmt, aber mit so versteckter Gesetzmäßigkeit, daß die Einbildungskraft dabey völlig willkührlich zu verfahren, und bloß dem Zufall der Zeitverknüpfung zu folgen scheint. Sinnlich wird die Darstellung, wenn sie das Allgemeine in das Besondere versteckt, und der Phantasie das lebendige Bild (die ganze Vorstellung) hingiebt, wo es bloß um den Begriff (die Theilvorstellung) zu thun ist. Die sinnliche Darstellung ist also, von der Einen Seite betrachtet, reich, weil sie da, wo nur eine Bestimmung verlangt wird, ein vollständiges Bild, ein Ganzes von Bestimmungen, ein Individuum gibt; sie ist aber von einer andern Seite betrachtet wieder eingeschränkt und arm, weil sie nur von einem Individuum und von einem einzelnen Fall behauptet, was doch von einer ganzen Sphäre zu verstehen ist. Sie verkürzt also den Verstand gerade um so viel, als sie der Imagination im Überfluß darbietet, denn je vollständiger an Inhalt eine Vorstellung ist, desto kleiner ist ihr Umfang. 

Das Interesse der Einbildungskraft ist, ihre Gegenstände nach Willkühr zu wechseln, das Interesse des Verstandes ist, die seinigen mit strenger Nothwendigkeit zu verknüpfen. So sehr diese beyden Interessen mit einander zu streiten scheinen, so giebt es doch zwischen beyden einen Punkt der Vereinigung, und diesen auszufinden, ist das eigentliche Verdienst der schönen Schreibart. 

Um der Imagination Genüge zu thun, muß die Rede einen materiellen Theil oder Körper haben, und diesen machen die Anschauungen aus, von denen der Verstand die einzelnen Merkmale oder Begriffe absondert; denn so abstrakt wir auch denken mögen, so ist es doch immer zuletzt etwas sinnliches, was unserm Denken zum Grund liegt. Nur will die Imagination ungebunden und regellos von Anschauung zu Anschauung überspringen, und sich an keinen andern Zusammenhang, als den der Zeitfolge, binden. Stehen also die Anschauungen, welche den körperlichen Teil zu der Rede hergeben, in keiner Sachverknüpfung untereinander, scheinen sie vielmehr als unabhängige Glieder und als eigene Ganze für sich selbst zu bestehen, verrathen sie die ganze Unordnung einer spielenden und bloß sich selbst gehorchenden Einbildungskraft, so hat die Einkleidung ästhetische Freyheit, und das Bedürfniß der Phantasie ist befriedigt. Eine solche Darstellung, könnte man sagen, ist ein organisches Produkt, wo nicht bloß das Ganze lebt, sondern auch die einzelnen Theile ihr eigenthümliches Leben haben; die bloß wissenschaftliche Darstellung ist ein mechanisches Werk, wo die Theile, leblos für sich selbst, dem Ganzen durch ihre Zusammenstimmung ein künstliches Leben ertheilen. 

Um auf der andern Seite dem Verstande Genüge zu thun und Erkenntniß hervorzubringen, muß die Rede einen geistigen Theil, Bedeutung, haben, und diese erhält sie durch die Begriffe, vermittelst welcher jene Anschauungen auf einander bezogen und in ein Ganzes verbunden werden. Findet nun zwischen diesen Begriffen, als dem geistigen Theil der Rede, der genaueste Zusammenhang statt, während daß sich die ihnen korrespondirenden Anschauungen, als der sinnliche Theil der Rede, bloß durch ein willkührliches Spiel der Phantasie zusammen zu finden scheinen, so ist das Problem gelößt, und der Verstand wird durch Gesetzmäsigkeit befriedigt, indem der Phantasie durch Gesetzlosigkeit geschmeichelt wird. 

Untersucht man die Zauberkraft der schönen Diktion, so wird man allemal finden, daß sie in einem solchen glücklichen Verhältniß zwischen äusserer Freyheit und innerer Nothwendigkeit enthalten ist. Zu dieser Freyheit der Einbildungskraft trägt die Individualisirung der Gegenstände, und der figürliche oder uneigentliche Ausdruck das meiste bey, jene, um die Sinnlichkeit zu erhöhen, dieser, um sie da, wo sie nicht ist, zu erzeugen. Indem wir die Gattung durch ein Individuum repräsentiren und einen allgemeinen Begriff in einem einzelnen Falle darstellen, nehmen wir der Phantasie die Fesseln ab, die der Verstand ihr angelegt hatte, und geben ihr Vollmacht, sich schöpferisch zu beweisen. Immer nach Vollständigkeit der Bestimmungen strebend, erhält und gebraucht sie jetzt das Recht, das ihr hingegebene Bild nach Gefallen zu ergänzen, zu beleben, umzustalten, ihm in allen seinen Verbindungen und Verwandlungen zu folgen. Sie darf augenblicklich ihrer untergeordneten Rolle vergessen, und sich als eine willkührliche Selbstherrscherinn betragen, weil durch den strengen innern Zusammenhang hinlänglich dafür gesorgt ist, daß sie dem Zügel des Verstandes nie ganz entfliehen kann. Der uneigentliche Ausdruck treibt diese Freyheit noch weiter, indem er Bilder zusammengattet, die ihrem Inhalt nach ganz verschieden sind, aber sich gemeinschaftlich unter einem höhern Begriff verbinden. Weil sich nun die Phantasie an den Inhalt, der Verstand hingegen an jenen höhern Begriff hält, so macht die erstere eben da einen Sprung, wo der letztere die vollkommenste Stätigkeit wahrnimmt. Die Begriffe entwickeln sich nach dem Gesetz der Nothwendigkeit, aber nach dem Gesetz der Freyheit gehen sie an der Einbildungskraft vorüber; der Gedanke bleibt derselbe, nur wechselt das Medium, das ihn darstellt. So erschafft sich der beredte Schriftsteller aus der Anarchie selbst die herrlichste Ordnung, und errichtet auf einem immer wechselnden Grunde, auf dem Strome der Imagination, der immer fortfließt, ein festes Gebäude. 

Stellt man zwischen der wissenschaftlichen, der populären und der schönen Diktion eine Vergleichung an, so zeigt sich, dass alle drey zwar den Gedanken, um den es zu thun ist, der Materie nach, gleich getreu überliefern, und uns also alle drey zu einer Erkenntnis verhelfen, daß aber die Art und der Grad dieser Erkenntniß bei einer jeden merklich verschieden sind. Der schöne Schriftsteller stellt uns die Sache, von der er handelt, vielmehr als möglich und als wünschenswürdig vor, als daß er uns von der Wirklichkeit oder gar von der Nothwendigkeit derselben überzeugen könnte; denn sein Gedanke kündigt sich bloß als eine willkürliche Schöpfung der Einbildungskraft an, die für sich allein nie im Stand ist, die Realität ihrer Vorstellungen zu verbürgen. Der populäre Schriftsteller erweckt uns den Glauben, daß es sich wirklich so verhalte, aber weiter bringt er es auch nicht; denn er macht uns die Wahrheit jenes Satzes zwar fühlbar, aber nicht absolut gewiß. Das Gefühl aber kann wohl lehren was ist, aber niemals was seyn muß. Der philosophische Schriftsteller erhebt jenen Glauben zur Überzeugung; denn er erweißt aus unbezweifelten Gründen, daß es sich nothwendig so verhalte. 

Wenn man von den bisherigen Grundsätzen ausgehet, so wird es nicht schwer seyn, einer jeden von diesen drey verschiedenen Formen der Diktion ihre schickliche Stelle anzuweisen. Im Ganzen genommen wird sich als Regel annehmen lassen, daß da, wo es nicht bloß an dem Resultat, sondern zugleich an den Beweisen liegt, die wissenschaftliche Schreibart, und da, wo es überhaupt nur um das Resultat zu thun ist, die populäre und schöne Schreibart den Vorzug verdienen. Wann aber der populäre Ausdruck in den schönen übergehen darf, das entscheidet der größere oder geringere Grad des Interesse, den man vorauszusetzen und zu bewirken hat. 

Der reine wissenschaftliche Ausdruck setzt uns (mehr oder weniger, je nachdem er philosophischer oder populärer ist) in den Besitz einer Erkenntniß; der schöne Ausdruck leiht uns dieselbe bloß zu augenblicklichem Genuß und Gebrauche. Der erste giebt uns – wenn ich mir die Vergleichung erlauben darf – den Baum mit samt der Wurzel, aber freylich müssen wir uns gedulden, bis er blühet und Früchte trägt; der schöne Ausdruck bricht uns bloß die Blüthen und Früchte davon ab, aber der Baum, der sie trug, wird nicht unser, und wenn jene verwelkt und genossen sind, ist unser Reichthum verschwunden. So widersinnig es nun wäre, demjenigen die bloße Blume oder Frucht abzubrechen, der den Baum selbst in seinen Garten verpflanzt haben will, eben so ungereimt würde es seyn, dem, welchem gerade jetzt nur nach einer Frucht gelüstet, den Baum selbst mit seinen künftigen Früchten anzubieten. Die Anwendung ergiebt sich von selbst, und ich bemerke blos, daß der schöne Ausdruck eben so wenig für den Lehrstuhl, als der schulgerechte für den schönen Umgang und für die Rednerbühne taugt. 

Der Lernende sammelt für spätere Zwecke, und für einen künftigen Gebrauch; daher der Lehrer dafür zu sorgen hat, ihn zum völligen Eigenthümer der Kenntnisse zu machen, die er ihm beybringt. Nichts aber ist unser, als was dem Verstand übergeben wird. Der Redner hingegen bezweckt einen schnellen Gebrauch, und hat ein gegenwärtiges Bedürfniß seines Publikums zu befriedigen. Sein Interesse ist es also, die Kenntnisse, welche er ausstreut, so schnell, als er immer kann, praktisch zu machen, und dies erreicht er am sichersten, wenn er sie dem Sinn übergiebt, und für die Empfindung zubereitet. Der Lehrer, der sein Publikum bloß auf Bedingungen übernimmt, und berechtigt ist, die Stimmung des Gemüths, die zur Aufnahme der Wahrheit erfodert wird, schon bey demselben vorauszusetzen, richtet sich bloß nach dem Object seines Vortrags, da im Gegentheil der Redner, der mit seinem Publikum keine Bedingung eingehen darf, und die Neigung erst zu seinem Vortheil gewinnen muß, sich zugleich nach den Subjecten zu richten hat, an die er sich wendet. Jener, dessen Publikum schon da war, und wieder kommt, braucht bloß Bruchstücke zu liefern, die mit vorhergegangenen Vorträgen erst ein Ganzes ausmachen; dieser, dessen Publikum ohne Aufhören wechselt, unvorbereitet kommt und vielleicht nie zurückkehrt, muß sein Geschäft bey jedem Vortrag vollenden; jede seiner Aufführungen muß ein Ganzes für sich seyn, und ihren vollständigen Aufschluß enthalten. 

Daher ist es kein Wunder, wenn ein noch so gründlicher dogmatischer Vortrag in der Konversazion und auf der Kanzel kein Glück macht, und ein noch so geistvoller schöner Vortrag auf dem Lehrstuhl keine Früchte trägt – wenn die schöne Welt Schriften ungelesen läßt, die in der gelehrten Epoche machen, und der Gelehrte Werke ignoriert, die eine Schule der Weltleute sind, und von allen Liebhabern des Schönen mit Begierde verschlungen werden. Jedes kann in dem Kreis, für den es bestimmt ist, Bewunderung verdienen, ja an innerm Gehalt können beide vollkommen gleich seyn, aber es hiesse etwas unmögliches verlangen, wenn ein Werk, das den Denker anstrengt, zugleich dem blossen Schöngeist zum leichten Spiele dienen sollte. 

Aus diesem Grunde halte ich es für schädlich, wenn für den Unterricht der Jugend Schriften gewählt werden, worinn wissenschaftliche Materien in schöne Form eingekleidet sind. Ich rede hier ganz und gar nicht von solchen Schriften, wo der Inhalt der Form aufgeopfert worden ist, sondern von wirklich vortreflichen Schriften, die die schärfste Sachprobe aushalten, aber diese Probe in ihrer Form nicht enthalten. Es ist wahr, man erreicht mit solchen Schriften den Zweck, gelesen zu werden, aber immer auf Unkosten des wichtigern Zweckes, warum man gelesen werden will. Der Verstand wird bey dieser Lectüre immer nur in seiner Zusammenstimmung mit der Einbildungskraft geübt, und lernt also nie die Form von dem Stoffe scheiden, und als ein reines Vermögen handeln. Und doch ist schon die blosse Übung des Verstandes ein Hauptmoment bey dem Jugendunterricht, und an dem Denken selbst liegt in den meisten Fällen mehr, als an dem Gedanken. Wenn man haben will, daß ein Geschäft gut besorgt werde, so mag man sich ja hüten, es als ein Spiel anzukündigen. Vielmehr muß der Geist schon durch die Form der Behandlung in Spannung gesetzt und mit einer gewissen Gewalt von der Passivität zur Thätigkeit fortgestossen werden. Der Lehrer soll seinem Schüler die strenge Gesetzmässigkeit der Methode keineswegs verbergen, sondern ihn vielmehr darauf aufmerksam, und wo möglich darnach begierig machen. Der Studierende soll lernen, einen Zweck verfolgen, und um des Zwecks willen auch ein beschwerliches Mittel sich gefallen lassen. Frühe schon soll er nach der edleren Lust streben, welche der Preiß der Anstrengung ist. Bey dem wissenschaftlichen Vortrag werden die Sinne ganz und gar abgewiesen, bey dem schönen werden sie ins Interesse gezogen. Was wird die Folge davon seyn? Man verschlingt eine solche Schrift, eine solche Unterhaltung mit Antheil; aber, wird man um die Resultate befragt, so ist man kaum im Stande, davon Rechenschaft zu geben. Und sehr natürlich! denn die Begriffe dringen zu ganzen Massen in die Seele, und der Verstand erkennt nur, wo er unterscheidet; das Gemüth verhielt sich, während der Lectüre vielmehr leidend als thätig, und der Geist besitzt nichts, als was er thut. 

Dies gilt übrigens bloß von dem Schönen gemeiner Art und von der gemeinen Art das Schöne zu empfinden. Das wahrhaft Schöne gründet sich auf die strengste Bestimmtheit, auf die genaueste Absonderung, auf die höchste innere Nothwendigkeit; nur muß diese Bestimmtheit sich eher finden lassen, als gewaltsam hervordrängen. Die höchste Gesetzmässigkeit muß da seyn, aber sie muß als Natur erscheinen. Ein solches Produkt wird dem Verstand vollkommen Genüge thun, sobald es studiert wird, aber eben weil es wahrhaft schön ist, so dringt es seine Gesetzmässigkeit nicht auf, so wendet es sich nicht an den Verstand ins besondere, sondern spricht als reine Einheit zu dem harmonierenden Ganzen des Menschen, als Natur zur Natur. Ein gemeiner Beurtheiler findet es vielleicht leer, dürftig, viel zu wenig bestimmt; gerade dasjenige, worinn der Triumph der Darstellung besteht, die vollkommene Auflösung der Theile in einem reinen Ganzen, beleidigt ihn, weil er nur zu unterscheiden versteht, und nur für das Einzelne Sinn hat. Zwar soll bey philosophischen Darstellungen der Verstand, als Unterscheidungsvermögen, befriediget werden, es sollen einzelne Resultate für ihn daraus hervorgehen; dieß ist der Zweck, der auf keine Weise hintangesetzt werden darf. Wenn aber der Schriftsteller durch die strengste innere Bestimmtheit dafür gesorgt hat, dass der Verstand diese Resultate nothwendig finden muß, sobald er sich nur darauf einläßt, aber damit allein nicht zufrieden und genöthigt durch seine Natur (die immer als harmonische Einheit wirkt, und wo sie durch das Geschäft der Abstraktion diese Einheit verloren, solche schnell wieder herstellt) wenn er das Getrennte wieder verbindet, und durch die vereinigte Auffoderung der sinnlichen und geistigen Kräfte immer den ganzen Menschen in Anspruch nimmt, so hat er wahrhaftig nicht um so viel schlechter geschrieben, als er dem Höchsten näher gekommen ist. Der gemeine Beurtheiler freylich, der ohne Sinn für jene Harmonie immer nur auf das Einzelne dringt, der in der Peterskirche selbst nur die Pfeiler suchen würde, welche dieses künstliche Firmament unterstützen, dieser wird es ihm wenig Dank wissen, daß er ihm eine doppelte Mühe machte; denn ein solcher muß ihn freylich erst übersetzen, wenn er ihn verstehen will, so wie der blosse nackte Verstand, entblößt von allem Darstellungsvermögen, das Schöne und Harmonische in der Natur wie in der Kunst erst in seine Sprache umsetzen und auseinander legen, kurz, so wie der Schüler, um zu lesen, erst buchstabieren muß. Aber von der Beschränktheit und Bedürftigkeit seiner Leser empfängt der darstellende Schriftsteller niemals das Gesetz. Dem Ideal, das er in sich selbst trägt, geht er entgegen, unbekümmert, wer ihm etwa folgt und wer zurück bleibt. Es werden viele zurück bleiben; denn so selten es schon ist, auch nur denkende Leser zu finden, so ist es doch noch unendlich seltener, solche anzutreffen, welche darstellend denken können. Ein solcher Schriftsteller wird es also der Natur der Sache nach sowohl mit denjenigen verderben, welche nur anschauen und nur empfinden; denn er legt ihnen die saure Arbeit des Denkens auf: als mit denjenigen, welche nur denken, denn er fodert von ihnen, was für sie schlechthin unmöglich ist, lebendig zu bilden. Weil aber beyde nur sehr unvollkommene Repräsentanten gemeiner und ächter Menschheit sind, welche durchaus Harmonie jener beyden Geschäfte fodert, so bedeutet ihr Widerspruch nichts; vielmehr bestätigen ihm ihre Urtheile, daß er erreichte, was er suchte. Der abstrakte Denker findet seinen Inhalt gedacht, und der anschauende Leser seine Schreibart lebendig; beyde billigen also, was sie fassen und vermissen nur, was ihr Vermögen übersteigt. 

Ein solcher Schriftsteller ist aber aus eben diesem Grunde ganz und gar nicht dazu gemacht, einen Unwissenden mit dem Gegenstande, den er behandelt, bekannt zu machen, oder, im eigentlichsten Sinne des Worts, zu lehren. Dazu ist er glücklicher weise auch nicht nöthig, weil es für den Unterricht der Schüler nie an Subjecten fehlen wird. Der Lehrer in strengster Bedeutung, muß sich nach der Bedürftigkeit richten; er geht von der Voraussetzung des Unvermögens aus, da hingegen jener von seinem Leser oder Zuhörer schon eine gewisse Integrität und Ausbildung fodert. Dafür schränkt sich aber seine Wirkung auch nicht darauf ein, bloß tote Begriffe mitzutheilen, er ergreift mit lebendiger Energie das Lebendige und bemächtigt sich des ganzen Menschen, seines Verstandes, seines Gefühls, seines Willens zugleich. 

Wenn es für die Gründlichkeit der Erkenntniß nachtheilig befunden wurde, bey dem eigentlichen Lernen, den Foderungen des Geschmacks Raum zu geben, so wird dadurch keineswegs behauptet, daß die Bildung dieses Vermögens bei dem Studirenden zu frühzeitig sey. Ganz im Gegentheil soll man ihn aufmuntern und veranlassen, Kenntnisse, die er sich auf dem Wege der Schule zu eigen machte, auf dem Weg der lebendigen Darstellung mitzutheilen. Sobald das erstere nur beobachtet worden ist, kann das zweite keine andern als nützliche Folgen haben. Gewiß muß man einer Wahrheit schon in hohem Grad mächtig seyn, um ohne Gefahr die Form verlassen zu können, in der sie gefunden wurde; man muß einen grossen Verstand besitzen, um selbst in dem freyen Spiele der Imagination sein Object nicht zu verlieren. Wer mir seine Kenntnisse in Schulgerechter Form überliefert, der überzeugt mich zwar, daß er sie richtig fasste, und zu behaupten weiß; wer aber zugleich im Stande ist, sie in einer schönen Form mitzutheilen, der beweißt nicht nur, daß er dazu gemacht ist, sie zu erweitern, er beweißt auch, daß er sie in seine Natur aufgenommen und in seinen Handlungen darzustellen fähig ist. Es giebt für die Resultate des Denkens keinen andern Weg zu dem Willen und in das Leben, als durch die selbstthätige Bildungskraft. Nichts als was in uns selbst schon lebendige That ist, kann es ausser uns werden, und es ist mit Schöpfungen des Geistes wie mit organischen Bildungen; nur aus der Blüthe geht die Frucht vor. 

Wenn man überlegt, wie viele Wahrheiten als innere Anschauungen längst schon lebendig wirkten, ehe die Philosophie sie demonstrierte, und wie kraftlos öfters die demonsiriertesten Wahrheiten für das Gefühl und den Willen bleiben, so erkennt man, wie wichtig es für das praktische Leben ist, diesen Wink der Natur zu befolgen, und die Erkenntnisse der Wissenschaft wieder in lebendige Anschauung umzuwandeln. Nur auf diese Art ist man im Stande, an den Schätzen der Weißheit auch diejenigen Antheil nehmen zu lassen, denen schon ihre Natur untersagte, den unnatürlichen Weg der Wissenschaft zu wandeln. Die Schönheit leistet hier in Rücksicht auf die Erkenntnis eben das, was sie im moralischen, in Rücksicht auf die Handlungsweise leistet; sie vereinigt die Menschen in den Resultaten und in der Materie, die sich in der Form und in den Gründen niemals vereinigt haben würden. 

Das andre Geschlecht kann und darf, seiner Natur und seiner schönen Bestimmung nach, mit dem Männlichen nie die Wissenschaft, aber durch das Medium der Darstellung kann es mit demselben die Wahrheit theilen. Der Mann läßt es sich noch wohl gefallen, daß sein Geschmack beleidigt wird, wenn nur der innere Gehalt den Verstand entschädigt. Gewöhnlich ist es ihm nur desto lieber, je härter die Bestimmtheit hervortritt, und je reiner sich das innere Wesen von der Erscheinung absondert. Aber das Weib vergiebt dem reichsten Inhalt die vernachläßigte Form nicht, und der ganze innre Bau seines Wesens giebt ihm ein Recht zu dieser strengen Foderung. Dieses Geschlecht, das, wenn es auch nicht durch Schönheit herrschte, schon allein deswegen, das schöne Geschlecht heissen müßte, weil es durch Schönheit beherrscht wird, zieht alles, was ihm vorkommt, vor den Richterstuhl der Empfindung, und was diese entweder beleidigt, oder gar leer läßt, ist für dasselbe verloren. Freylich kann ihm in diesem Kanal nur die Materie der Wahrheit, aber nicht die Wahrheit selbst überliefert werden, die von ihrem Beweiß unzertrennlich ist. Aber glücklicher Weise braucht es auch nur die Materie der Wahrheit, um seine höchste Vollkommenheit zu erreichen, und die bisher erschienenen Ausnahmen können den Wunsch nicht erregen, daß sie zur Regel werden möchten. 

Das Geschäft also, welches die Natur dem andern Geschlecht nicht bloß nachließ, sondern verbot, muß der Mann doppelt auf sich nehmen, wenn er anders dem Weibe in diesem wichtigen Punkt des Daseyns auf gleicher Stuffe begegnen will. Er wird also so viel, als er nur immer kann, aus dem Reich der Abstraktion, wo Er regiert, in das Reich der Einbildungskraft und Empfindung hinüber zu ziehen suchen, wo das Weib zugleich Muster und Richterinn ist. Er wird, da er in dem weiblichen Geiste keine dauerhaften Pflanzungen anlegen kann, so viele Blüthen und Früchte, als immer möglich ist, auf seinem eigenen Feld zu erzielen suchen, um den schnell verwelkenden Vorrath auf dem andern desto öfter erneuern, und da, wo keine natürliche Ärndte reift, eine künstliche unterhalten zu können. Der Geschmack verbessert – oder verbirgt – den natürlichen Geistesunterschied beider Geschlechter, er nährt und schmückt den weiblichen Geist mit den Produkten des männlichen, und läßt das reitzende Geschlecht empfinden, wo es nicht gedacht, und geniessen, wo es nicht gearbeitet hat.

Dem Geschmack ist also, unter den Einschränkungen, deren ich bisher erwähnte, bei Mittheilung der Erkenntniß zwar die Form anvertraut, aber unter der ausdrücklichen Bedingung, daß er sich nicht an dem Inhalt vergreife. Er soll nie vergessen, daß er einen fremden Auftrag ausrichtet und nicht seine eignen Geschäfte führt. Sein ganzer Antheil soll darauf eingeschränkt seyn, das Gemüth in eine der Erkenntniß günstige Stimmung zu versetzen; aber in allem dem, was die Sache betrift, soll er sich durchaus keiner Autorität anmaßen. 

Wenn er das letztere thut – wenn er sein Gesetz, welches kein anders ist, als der Einbildungskraft gefällig zu seyn, und in der Betrachtung zu vergnügen, zum obersten erhebt – wenn er dieses Gesetz nicht bloß auf die Behandlung, sondern auch auf die Sache anwendet, und nach Maßgabe desselben die Materialien nicht bloß ordnet, sondern wählt, so überschreitet er nicht nur, sondern veruntreut seinen Auftrag, und verfälscht das Objekt, das er uns treu überliefern sollte. Nach dem, was die Dinge sind, wird jetzt nicht mehr gefragt, sondern wie sie sich am besten den Sinnen empfehlen. Die strenge Consequenz der Gedanken, welche blos hätte verborgen werden sollen, wird als eine lästige Fessel weggeworfen; die Vollkommenheit wird der Annehmlichkeit, die Wahrheit der Theile der Schönheit des Ganzen, das innere Wesen dem äußern Eindruck aufgeopfert. Wo aber der Inhalt sich nach der Form richten muß, da ist gar kein Inhalt; die Darstellung ist leer, und anstatt sein Wissen vermehrt zu haben, hat man blos ein unterhaltendes Spiel getrieben. 

Schriftsteller, welche mehr Witz als Verstand und mehr Geschmack als Wissenschaft besitzen, machen sich dieser Betrügerey nur allzuoft schuldig, und Leser, die mehr zu empfinden als zu denken gewohnt sind, zeigen sich nur zu bereitwillig, sie zu verzeihen. Überhaupt ist es bedenklich, dem Geschmack seine völlige Ausbildung zu geben, ehe man den Verstand als reine Denkkraft geübt, und den Kopf mit Begriffen bereichert hat. Denn da der Geschmack nur immer auf die Behandlung und nicht auf die Sache sieht, so verliert sich da, wo er der alleinige Richter ist, aller Sachunterschied der Dinge. Man wird gleichgültig gegen die Realität, und setzt endlich allen Werth in die Form und in die Erscheinung. 

Daher der Geist der Oberflächlichkeit und Frivolität, den man sehr oft bei solchen Ständen und in solchen Zirkeln herrschen sieht, die sich sonst nicht mit Unrecht der höchsten Verfeinerung rühmen. Einen jungen Menschen in diese Zirkel der Grazien einzuführen, ehe die Musen ihn als mündig entlassen haben, muß ihm nothwendig verderblich werden, und es kann gar nicht fehlen, daß eben das, was dem reifen Jüngling die äussere Vollendung giebt, den unreifen zum Gecken macht. Stoff ohne Form ist freylich nur ein halber Besitz, denn die herrlichsten Kenntnisse liegen in einem Kopf, der ihnen keine Gestalt zu geben weiß, wie todte Schätze vergraben. Form ohne Stoff hingegen ist gar nur der Schatte eines Besitzes, und alle Kunstfertigkeit im Ausdruck kann denjenigen nichts helfen, der nichts auszudrücken hat. 

Wenn also die schöne Kultur nicht auf diesen Abweg führen soll, so muß der Geschmack nur die äussere Gestalt, Vernunft und Erfahrung aber das innere Wesen bestimmen. Wird der Eindruck auf den Sinn zum höchsten Richter gemacht, und die Dinge blos auf die Empfindung bezogen, so tritt der Mensch niemals aus der Dienstbarkeit der Materie, so wird es niemals Licht in seinem Geist, kurz so verliert er eben so viel an Freyheit der Vernunft, als er der Einbildungskraft zuviel verstattet. 

Das Schöne thut seine Wirkung schon bey der blossen Betrachtung, das Wahre will Studium. Wer also blos seinen Schönheitssinn übte, der begnügt sich auch da, wo schlechterdings Studium nöthig ist, mit der superfiziellen Betrachtung, und will auch da blos verständig spielen, wo Anstrengung und Ernst erfordert wird. Durch die blosse Betrachtung wird aber nie etwas gewonnen. Wer etwas Grosses leisten will, muß tief eindringen, scharf unterscheiden, vielseitig verbinden, und standhaft beharren. Selbst der Künstler und Dichter, obgleich beyde nur für das Wohlgefallen bey der Betrachtung arbeiten, können nur durch ein anstrengendes und nichts weniger als reitzendes Studium dahin gelangen, daß ihre Werke uns spielend ergötzen. 

Dieses scheint mir auch der untrügliche Probierstein zu seyn, woran man den blossen Dilettanten von dem wahrhaften Kunstgenie unterscheiden kann. Der verführerische Reitz des Grossen und Schönen; das Feuer, womit es die jugendliche Imagination entzündet und der Anschein von Leichtigkeit, womit es die Sinne täuscht, haben schon manchen Unerfahrenen beredet, Palette oder Leyer zu ergreifen, und auszugiessen in Gestalten oder Tönen, was in ihm lebendig wurde. In seinem Kopf arbeiten dunkle Ideen, wie eine werdende Welt, die ihn glauben machen, daß er begeistert sey. Er nimmt das Dunkle für das Tiefe, das Wilde für das Kräftige, das Unbestimmte für das Unendliche, das Sinnlose für das Übersinnliche – und wie gefällt er sich nicht in seiner Geburt! Aber des Kenners Urtheil will dieses Zeugniß der warmen Selbstliebe nicht bestätigen. Mit ungefälliger Kritik zerstört er das Gauckelwerk der schwärmenden Bildungskraft, und leuchtet ihm in den tiefen Schacht der Wissenschaft und Erfahrung hinunter, wo, jedem Ungeweihten verborgen, der Quell aller wahren Schönheit entspringt. Schlummert nun ächte Geniuskraft in dem fragenden Jüngling, so wird zwar anfangs seine Bescheidenheit stutzen, aber der Muth des wahren Talents wird ihn bald zu Versuchen ermuntern. Er studiert, wenn die Natur ihn zum plastischen Künstler ausstattete, den menschlichen Bau unter dem Messer des Anatomikers, steigt in die unterste Tiefe, um auf der Oberfläche wahr zu seyn, und fragt bey der ganzen Gattung herum, um dem Individuum sein Recht zu erweisen. Er behorcht, wenn er zum Dichter gebohren ist, die Menschheit in seiner eigenen Brust, um ihr unendlich wechselndes Spiel auf der weiten Bühne der Welt zu verstehen, unterwirft die üppige Phantasie der Discivlin des Geschmackes, und läßt den nüchternen Verstand die Ufer ausmessen, zwischen welchen der Strom der Begeisterung brausen soll. Ihm ist es wohlbekannt, daß nur aus dem unscheinbar Kleinen das Grosse erwächst, und Sandkorn für Sandkorn trägt er das Wundergebäude zusammen, das uns in einem einzigen Eindruck jetzt schwindelnd faßt. Hat ihn hingegen die Natur blos zum Dilettanten gestempelt, so erkältet die Schwierigkeit seinen kraftlosen Eifer, und er verläßt entweder, wenn er bescheiden ist, eine Bahn, die ihm Selbstbetrug anwieß, oder, wenn er es nicht ist, verkleinert er das grosse Ideal nach dem kleinen Durchmesser seiner Fähigkeit, weil er nicht im Stand ist, seine Fähigkeit nach dem grossen Maaßstab des Ideals zu erweitern. Das ächte Kunstgenie ist also immer daran zu erkennen, daß es bey dem glühendsten Gefühl für das Ganze Kälte und ausdauernde Geduld für das Einzelne behält, und, um der Vollkommenheit keinen Abbruch zu thun, lieber den Genuß der Vollendung aufopfert. Dem blossen Liebhaber verleidet die Mühseligkeit des Mittels den Zweck, und er möchte es gern beym Hervorbringen so bequem haben, als bey der Betrachtung.

 

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