Friedrich SchillerFriedrich Schiller

Die Horen 1/1795

 

eine Monatsschrift,
von einer Gesellschaft verfaßt
und herausgegeben
von
Schiller. 

   Zu einer Zeit, wo das nahe Geräusch des Kriegs das Vaterland ängstiget, wo der Kampf politischer Meynungen und Interessen diesen Krieg beynahe in jedem Zirkel erneuert, und nur allzuoft Musen und Grazien daraus verscheucht, wo weder in den Gesprächen noch in den Schriften des Tages vor diesem allverfolgenden Dämon der Staatscritik Rettung ist, möchte es eben so gewagt als verdienstlich seyn, den so sehr zerstreuten Leser zu einer Unterhaltung von ganz entgegengesetzter Art einzuladen. In der That scheinen die Zeitumstände einer Schrift wenig Glük zu versprechen, die sich über das Lieblingsthema des Tages ein strenges Stillschweigen auferlegen, und ihren Ruhm darinn suchen wird, durch etwas anders zu gefallen, als wodurch jetzt alles gefällt. Aber jemehr das beschränkte Interesse der Gegenwart die Gemüther in Spannung setzt, einengt und unterjocht, desto dringender wird das Bedürfniß, durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeiten erhaben ist, sie wieder in Freyheit zu setzen, und die politisch getheilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder zu vereinigen. 

   Dieß ist der Gesichtspunkt, aus welchem die Verfasser dieser Zeitschrift dieselbe betrachtet wissen möchten. Einer heitern und leidenschaftfreyen Unterhaltung soll sie gewidmet seyn, und dem Geist und Herzen des Lesers, den der Anblick der Zeitbegebenheiten bald entrüstet, bald niederschlägt, eine fröhliche Zerstreuung gewähren. Mitten in diesem politischen Tumult soll sie für Musen und Charitinnen einen engen vertraulichen Zirkel schließen, aus welchem alles verbannt seyn wird, was mit einem unreinen Partheygeist gestempelt ist. Aber indem sie sich alle Beziehungen auf den jetzigen Weltlauf und auf die nächsten Erwartungen der Menschheit verbietet, wird sie über die vergangene Welt die Geschichte, und über die kommende die Philosophie befragen, wird sie zu dem Ideale veredelter Menschheit, welches durch die Vernunft aufgegeben, in der Erfahrung aber so leicht aus den Augen gerückt wird, einzelne Züge sammeln, und an dem stillen Bau besserer Begriffe, reinerer Grundsätze und edlerer Sitten, von dem zuletzt alle wahre Verbesserung des gesellschaftlichen Zustandes abhängt, nach Vermögen geschäftig seyn. Sowohl spielend als ernsthaft wird man im Fortgange dieser Schrift dieses einzige Ziel verfolgen, und so verschieden auch die Wege seyn mögen, die man dazu einschlagen wird, so werden doch alle, näher oder entfernter, dahin gerichtet seyn, wahre Humanität zu befördern. Man wird streben, die Schönheit zur Vermittlerinn der Wahrheit zu machen, und durch die Wahrheit der Schönheit ein daurendes Fundament und eine höhere Würde zu geben. So weit es thunlich ist, wird man die Resultate der Wissenschaft von ihrer scholastischen Form zu befreyen und in einer reizenden, wenigstens einfachen, Hülle dem Gemeinsinn verständlich zu machen suchen. Zugleich aber wird man auf dem Schauplatz der Erfahrung nach neuen Erwerbungen für die Wissenschaft ausgehen, und da nach Gesetzen forschen, wo bloß der Zufall zu spielen und die Willkühr zu herrschen scheint. Auf diese Art glaubt man zu Aufhebung der Scheidewand beyzutragen, welche die schöne Welt von der gelehrten zum Nachtheile beyder trennt, gründliche Kenntnisse in das gesellschaftliche Leben, und Geschmack in die Wissenschaft einzuführen. 

   Man wird sich, soweit kein edlerer Zweck darunter leidet, Mannichfaltigkeit und Neuheit zum Ziele setzen, aber dem frivolen Geschmacke, der das Neue bloß um der Neuheit willen sucht, keineswegs nachgeben. Übrigens wird man sich jede Freyheit erlauben, die mit guten und schönen Sitten verträglich ist. 

   Wohlanständigkeit und Ordnung, Gerechtigkeit und Friede werden also der Geist und die Regel dieser Zeitschrift sein; die drey schwesterlichen Horen Eunomia, Dice und Irene werden sie regieren. In diesen Göttergestalten verehrte der Grieche die welterhaltende Ordnung, aus der alles Gute fließt, und die in dem gleichförmigen Rhythmus des Sonnenlaufs ihr treffendstes Sinnbild findet. Die Fabel macht sie zu Töchtern der Themis und des Zeus, des Gesetzes und der Macht; des nehmlichen Gesetzes, das in der Körperwelt über den Wechsel der Jahrszeiten waltet, und die Harmonie in der Geisterwelt erhält. 

   Die Horen waren es, welche die neugebohrene Venus bey ihrer ersten Erscheinung in Cypern empfingen, sie mit göttlichen Gewanden bekleideten, und so von ihren Händen geschmückt in den Kreis der Unsterblichen führten: eine reizende Dichtung, durch welche angedeutet wird, daß das Schöne schon in seiner Geburt sich unter Regeln fügen muß, und nur durch Gesetzmässigkeit würdig werden kann, einen Platz im Olymp, Unsterblichkeit und einen moralischen Werth, zu erhalten. In leichten Tänzen umkreisen diese Göttinnen die Welt, öffnen und schliessen den Olymp, und schirren die Sonnenpferde an, das belebende Licht durch die Schöpfung zu versenden. Man sieht sie im Gefolge der Huldgöttinnen und in dem Dienst der Königin des Himmels, weil Anmuth und Ordnung, Wohlanständigkeit und Würde unzertrennlich sind. 

   Daß die gegenwärtige Zeitschrift des ehrenvollen Nahmens, den sie an ihrer Stirne führt, sich würdig zeigen werde, dafür glaubt der Herausgeber sich mit Zuversicht verbürgen zu können. Was ihm in seiner eignen Person nicht geziemen würde, zu versichern, das erlaubt er sich als Sprecher der achtungswürdigen Gesellschaft, die zu Herausgabe dieser Schrift sich vereinigt hat. Mit patriotischem Vergnügen sieht er einen Entwurf in Erfüllung gehen, der ihn und seine Freunde schon seit Jahren beschäftigte, aber nicht eher als jetzt gegen die vielen Hindernisse, die seiner Ausführung im Wege standen, hat behauptet werden können. Endlich ist es ihm gelungen, mehrere der verdienstvollesten Schriftsteller Deutschlands zu einem fortlaufenden Werke zu verbinden, an welchem es der Nation trotz aller Versuche, die von Einzelnen bisher angestellt wurden, noch immer gemangelt hat, und nothwendig mangeln mußte, weil gerade eine solche Anzahl und eine solche Auswahl von Theilnehmern nöthig seyn möchte, um bey einem Werk, das in festgesetzten Zeiten zu erscheinen bestimmt ist, Vortreflichkeit im Einzelnen mit Abwechslung im Ganzen zu verbinden. 

   Folgende Schriftsteller werden an dieser Monatschrift Antheil nehmen: 

   Da sich übrigens die hier erwähnte Societät keineswegs als geschlossen betrachtet, so wird jedem deutschen Schriftsteller, der sich den nothwendig gefundenen Bedingungen des Instituts zu unterwerfen geneigt ist, zu jeder Zeit die Theilnahme daran offen stehen. Auch soll jedem, der es verlangt, verstattet seyn, anonym zu bleiben, weil man bey Aufnahme der Beyträge nur auf den Gehalt und nicht auf den Stempel sehen wird. Aus diesem Grunde, und um die Freyheit der Critik zu befördern, wird man sich erlauben, von einer allgemeinen Gewohnheit abzugehen, und bey den einzelnen Aufsätzen die Nahmen ihrer Verfasser, bis zum Ablauf eines jeden Jahrgangs verschweigen, welches der Leser sich um so eher gefallen lassen kann, da ihn diese Anzeige schon im Ganzen mit denselben bekannt macht. 

   Jena, den 10. Dec. 1794. 

Schiller.              

 

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